Candies

“Zu schön, um wahr zu sein“ Selini Andres, Katalog Plastische Fotografie, ISBN: 3-980836-2-7

Verführerisch bunt locken die Bilder der neuen Serie “Candies“ von Ralf Peters. Im Katalog kleinformatig in Farbe und Motiv aufeinander abgestimmt, liegen sie wie bunte Süßigkeiten in einer geöffneten Pralinenschachtel nebeneinander und wollen ausgesucht werden. Was macht diesen unwiderstehlichen Reiz aus?
Neu an dieser Werkgruppe ist die verschwimmende Oberflächenstruktur der fotografierten Sujets.
Im Gegensatz zu den vorangegangenen Fotoserien wie den “Boxes“ oder den Ferienanlagen aus der Serie “Mix“, in denen das Dargestellte scharf und detailgetreu wiedergegeben ist und in deren Bildaufbau architektonische Strukturen gespiegelt oder modulartig vervielfacht sind, ist das Verbindende der neuen Serie ein malerisches, die Konturen auflösendes Stilmittel.
Die reale Größe der Arbeiten – ca. ein Meter in Höhe oder Breite – bricht mit der im Titel anklingenden Verniedlichung. Wirken die Arbeiten gerade in ihrer Vielzahl und Farbigkeit im Kleinen wie bunte „Leuchtbonbons“, so spielen die originalgroßen Arbeiten aufgrund der sich auflösenden Oberfläche mit der Wahrnehmung des Betrachters. Auch wenn man einige Meter zurücktritt und glaubt, aufgrund des räumlichen Abstandes zum Bild das Sujet entschlüsseln zu können, sieht man sich getäuscht, geben doch die schemenhaften Formen auch bei veränderter Perspektive nicht mehr Preis. Die “Candies“ locken und sperren sich gleichzeitig und sind eher von überwältigender Wirkung als süß. Ralf Peters bearbeitet die digital fotografierten Motive am Computer und löst die Datenmengen in verschwimmende Konturen und Farbflächen auf. Die Wirkung, die durch diese Bearbeitung entsteht, erinnert an die von Aquarellen. Im Gegensatz zu der malerischen Technik wirken bei der fotografischen Oberflächenauflösung der “Candies“ die Farbfelder nicht luzid- durchscheinend, sondern bleiben deckend und glatt. In einigen Farbinseln zeigen sich Streifen, die an einen Pinselduktus denken lassen, der den malerischen Eindruck noch steigert. Gerade in den letzten Jahrzehnten nimmt in der Fotografie die Auseinandersetzung mit malereispezifischen Themen zu.1 Während die Fotografie ihre Authentizität und Glaubwürdigkeit aus der (scheinbar objektiven) Abbildung der Wirklichkeit erhält, wird das Medium der Malerei heute in erster Linie als ein subjektives verstanden, in dem jeder Pinselstrich unmittelbare Zeichensetzung des malenden Künstlers ist. „Die malerischen Anspielungen der Fotografie verdeutlichen insofern prononciert die Zwitterstruktur des Mediums, das unsere Sehnsucht nach Glaubhaftem befriedigt und enttäuscht.“2
Durch die sich auflösenden Formen hindurch lassen sich auf den Fotografien die Szenerien von Landschaften, Interieurs, Freizeit und Reise nur erahnen. Das Phänomen der Unschärfe ist von einer vielschichtigen Faszination und ein Stilmittel, das gerade im letzten Jahrhundert in Malerei und Fotografie Wandlungen und vielfältige Anwendung gefunden hat.3Beim Fernblick in die Landschaft ist unser Empfinden weitgehendst noch an die romantische Vorstellung des 19. Jahrhundert gekoppelt4. Die Sehnsucht, Unendlichkeit und Überzeitliches in der Natur zu sehen, in der harmonisch die Elemente ineinander fließen, Himmel und Erde, Luft und Wasser sich vereinen, machen die Landschaft zum Mysterium und Projektionsfeld für ein spirituelles Ereignis, die in Caspar David Friedrichs „Mönch am Meer“ ihr Sinnbild gefunden hat.
Unsere Sehnsucht nach positivem Naturerlebnis, finden sich in den “Candies“ in allen Varianten bestätigt: erfrischendes Blau von Himmel und Meer, weißer Sand der Dünen und dazwischen schwingende heitere bunte Punkte von Flugdrachen, die uns im Spiel mit den Elementen verbinden.
Glatte Meeresoberflächen, rauschende Bäche oder geheimnisvolles dunkles Wasser, das sich in einer Schlucht zwischen die Berge schiebt. Landschaften mit Bauernhäusern, die uns eine idyllische Welt zeigen, aus der die Arbeitswelt ausgeblendet ist. Andere Motive erwecken das Gefühl von Fernweh und Lust auf das Reisen: eine fast leere Straße in der Abenddämmerung oder ein Schiffsdeck, das mit seinen leuchtend blauen Farben die Seefahrtromantik evoziert. Eine schnelle Dynamik oder Sehgeschwindigkeit scheint mit der Auflösung der Formen ausgebremst.
Selbst Straßenszenen oder ein fahrendes Schiff wirken wie eine Standaufnahme aus einem Film oder eine Traumsequenz, in der sich alles nach anderen Gesetzen bewegt. Ralf Peters hat die ursprünglichen fotografischen Vorlagen digital so bearbeitet, dass sich die Sujets zwischen Reduktion und Abstraktion bewegen. Anekdotisches wird aus den Bildern ferngehalten.
Der Betrachter kann eigene Assoziationen entwickeln und sich zurückziehen auf Phantasien und Erinnerungen, die gerade durch diese aufgelösten Zwischenflächen und Leerstellen ermöglicht werden. Menschliche Figuren finden sich selten in den Bildern; sind sie vorhanden, so    sind sie gesichtslos und schemenhaft und verschmelzen mit ihrer Umgebung.
Die Arbeiten verzichten auf den momenthaften Charakter einer Fotografie. Das Medium Fotografie wird von Ralf Peters gewissermaßen benutzt, um von der Wirklichkeit ausgehend mit Hilfe der Fotografie und malerischen Mitteln Wahrnehmungsprozesse sichtbar zu machen. Die Bilder und das abgelichtete Themenrepertoire entsprechen einem standardisierten Bilderreigen einer Freizeitkultur, der sich beliebig fortsetzen ließe.
Eine Gruppe von Motiven spielt mit dem Design und der Möblierung von halböffentlichen Innenräumen.
Die Interieurs sind mit einer gewissen Dramatik aufgeladen; nicht zuletzt durch die dichten Farbwerte von Rot, Orange und Gelb, die prachtvoll leuchten oder zu glimmen scheinen. Vor dem Betrachter tun sich geheimnisvolle Flure und Räume auf. Ist die Tür ein Tor? Und wenn ja wohin führt es? Tisch- und Stuhlgruppen erzeugen schwingende Ornamente und wirken wie Blütenformationen auf einem flauschigen Teppich. Vertikale tragende Elemente lösen sich in schillernde, Lichtsäulen auf, die Schwerkraft scheint außer Kraft, man taucht in eine andere Welt ein, und wäre nicht verwundert, in einem Raumschiff gelandet zu sein.
Umso weniger der Bildinhalt bestimmt werden kann, umso mysteriöser wirkt das Bild und um so mehr Spielraum lässt es für eigene Assoziationen. Die Bilder erschließen sich nicht über den Intellekt, sie geben uns einen Reiz vor, den man mit Gefühlen und der eigenen Phantasie beantworten muss. Die verfremdeten Landschaften und Räume geben keine exakten bestimmbaren Orte wieder, sondern liefern eine Idee der Dinge, stehen als Chiffre für etwas, das der Betrachter zu decodieren versucht und selbst mit Erinnerung und Wünschen anfüllt.
Die “Candies“ evozieren romantische Träume und Sehnsüchte. Wir spielen das Spiel in der Bilderwelt mit, werden hineingezogen in den Sog der leuchtenden Farbe und angenehmen Motive. Wir rufen Assoziationen auf und glauben uns an Szenen zu erinnern, die wir so auch schon erlebt, auf jeden Fall aber gesehen haben. Gesehenes und Erlebtes scheint sich miteinander zu vermischen.
Illustrationen, Reiseprospekte, Film und Fernsehen bedienen sich dieser Motive und der psychologisch aufgeladenen Farbenwelt, um uns Emotionen und Stimmungen zu suggerieren und uns mit diesen Bilderketten zu prägen. Sind denn dann die eigenen Gefühle und Sehnsüchte wirklich die eigenen oder sind selbst Gefühle stromlinienförmig und uniform? Am Ende wissen wir nicht, wem wir noch trauen können; bestimmte Assoziationsketten werden durch Bilder wie auf Knopfdruck aufgerufen. Ralf Peters geht von der Realität aus und erschafft spielend eine neue. Verführt und fasziniert lassen wir uns von banalen Motiven blenden. Zum einen sind die Bilder von Bildinhalt und Reizüberflutung entlastet5 und lassen Raum für das eigene Denken, zum anderen lösen sie ein Unbehagen aus, das sich aus der uns vorenthaltenen Information entwickelt und Unsicherheit zurücklässt. Entzieht man sich der strahlenden Schönheit der Bilder, erkennt man die Gradwanderung, die Ralf Peters mit seinen “Candies“ schafft. Ein bisschen mehr oder weniger Farbe und Auflösung und die Bilder fallen zurück in ihre banale Realität.
Die “Candies“ bewegen sich zwischen Malerei und Fotografie und lösen weder das eine noch das andere Versprechen ein. Weder bilden sie die Wirklichkeit detailgetreu ab, noch haben sie die Qualität eines gemalten Bildes. Sie changieren zwischen den Medien hin und her und verunsichern den Betrachter noch mehr. Die “Candies“ zeigen, daß man zwar glauben kann, sich in der eigenen Gefühlswelt zu bewegen, letztendlich aber weitgehendst konditioniert ist und auch auf Bilder wie Schlüsselreize reagiert. Der Betrachter ist entindividualisiert gleichsam wie der Gegenstand unserer Träume. Die Bilder kommen unserer Vorstellung von Natur und Reise, in der alles glatt und weich sein soll, ohne Hindernisse, Ecken und Kanten verläuft, erstaunlich nahe und entsprechen dem Werbepostulat der postmodernen Lifestylegesellschaft, sich beschwingt im “Flow“ zu bewegen und auf leuchtenden Farben leicht durchs Leben rutschen6.
Die “Candies“ verführen uns und halten uns gleichzeitig an der Oberfläche, so dass es kein Dahinter gibt, sondern wir auf uns selbst zurückgeworfen werden. Was bleibt, ist die Frage: Warum sind diese Bilder so schön?

1.Unschärferelation. Fotografie als Dimension der Malerei“, hrsg. Von Stephan Berg, René Hirner, Bernd Schulz, Stuttgart 2000, S. 6-7.
2.Ebenda.
3.Vgl. Wolfgang Ullrich, Die Geschichte der Unschärfe, Berlin 2002.
4.Adam Müller, Etwas über Landschaftsmalerei, in: Adam Müller, Kritische, ästhetische und philosophische Schriften, Bd.2, hrsg. von Walter Schroeder und Werner Siebert, Neuwied/Berlin 1967, S. 188-190.
5.Ullrich, Unschärfe, S.127f.: „Die Geschichte der Unschärfe führt von einer Ästhetik des Ressentiments und der Defensive zu einer Ästhetik der Sieger, beweist sich dabei immer wieder in Techniken des Ausschließens. Vom Ausblenden des Profanen und dem Dementi des Normalen, vom Mißtrauen gegen das Sichtbare bis zur Abwehr der Abbildhaftigkeit, von der Informationsverweigerung über die Reizanimierung bis zur Verbannung all dessen, was nicht perfekt ist, reicht das Spektrum an Exklusionen.“
6.Ullrich, Unschärfe, S. 124: „Neben Unschärfe-Effekten drückt oft auch gleißendes Licht Lebensfreude und Kraft aus; wie das obligate Lächeln überstrahlt es Grenzen und läßt sie damit überwindbar erscheinen... Der Optimismus der Bilder paßt zur postmodernen Wohlstands- und Eventkultur, in der Spaß,es Grenzen und läßt sie damit überwindbar erscheinen... Der Optimismus der Bilder paßt zur postmodernen Wohlstands- und Eventkultur, in der Spaß,Action und Flexibilität - Tugenden extrovertierten Lebens - ganz oben stehen.“

Link: "Candies", Ralf Peters; Galerie Bernhard Knaus / Frankfurt, D