Tankstellen

Daniel Spanke, Die Wirklichkeit des Fotos in der Kunst, Ralf Peters, Katalog: Plastische Fotografie ISBN:3-980836-2-7

Etwas stimmt nicht mit den Bildern Ralf Peters’: Tankstellen ohne jedes Firmenlogo, ohne Schriftzüge und Preisangaben; plastische Objekte aus Architekturen zusammengesetzt, die frei im Raum schweben und die es so gewiss nicht geben kann; Pendants von Fotos der New Yorker 9th Avenue in denen jeweils entweder nur Männer oder nur Frauen zu sehen sind; Reihen von Ferienanlagen, die sich bei näherem Hinsehen aus immer wieder den gleichen Elementen montiert erweisen. Stets baut der Künstler seinen Bildern ein irritierendes Moment ein, das, einmal bemerkt, dafür sorgt, sie sich genauer anzuschauen, kritischer auch. Er digitalisiert die Fotografien und manipuliert sie anschließend am Computer. Doch wenn wir so sprechen, unterstellen wir, dass es die Bilder, die Ralf Peters uns zeigen sollte, schon vor ihrer softwaregestützten Bearbeitung gibt und diese eine Art Fälschung oder Verfälschung bewirkt. Es stellt sich also die Frage, was echt und authentisch in Bezug auf Bilder überhaupt bedeutet und was in diesen Werken das künstlerisch Notwendige ist.

 

In der Tat betritt die Fotografie die Bühne der Bildgeschichte im frühen 19. Jahrhundert als die Naturwissenschaften die kulturdominanten Auffassungen von Wirklichkeit zum Positivismus und Materialismus hin veränderten – Wirklichkeit ist danach das, was man messen und nachweisen kann. Wahrheit, etwas die des Glaubens oder die der Kunst, wird mit diesem positivistischen Paradigma zu einer eher zweifelhaften, privaten Größe. Ihm kommt jedoch die Technisierung des Bildes, die mit der Fotografie einen ersten Höhepunkt erreichte, sehr entgegen. Als Dokument einer nachzuweisenden Wirklichkeit steht das technische Bild stellvertretend für eigene Erfahrung; in der Medizin etwa kann die Computertomografie die Autopsie ersetzen, die nicht nur das Aufschneiden des Körpers meint, sondern auch das Sehen mit eigenen Augen: aut[o]-opsie, das Selber-Sehen. Der Forscher erweitert die Wahrnehmungsmöglichkeiten seines Körpers, indem er die Autopsie an einen Apparat mit verbesserter oder ganz anderer Sensibilität delegiert. Allerdings mit beträchtlichem Erfolg – die Vorstellung von der Welt in der wir leben, hat sich durch die Möglichkeit technischer Bilder erheblich erweitert und geschärft. Das Bild, wie auch immer es zustande gekommen ist, stellt Nachvollziehbarkeit her. Kaum eine naturwissenschaftliche Veröffentlichung von der Astrophysik bis zur Mikrobiologie, die auf dieses Mittel, Konsensfähigkeit jenseits von Argumenten zu befördern, verzichten könnte. Das Argument besteht aus einer abstrakten, sprachlichen Beweiskette möglichst logischer Natur. Bilder, die als Dokumente betrachtet werden, nehmen hingegen den Charakter von Fakten an, mit denen sich dann argumentieren ließe. Es sind indes Scheinfakten, das heißt, sie repräsentieren Sachen, deren Tatsächlichkeit durch ihre Wahrscheinlichkeit im Bild angenommen werden muss.

 

Wird das Foto also im Kontext der so genannten hard sciences als Beweis der Wirklichkeit genommen, sind dagegen Fotografien in künstlerischen Zusammenhängen in einen historischen Prozess der Emanzipation der Bilder vom Muster der sichtbaren Welt eingebunden. Dieser Prozess, der zu den wichtigsten der Kunstgeschichte auf dem Weg durch die Neuzeit gehört, löst das Bild von seiner Verpflichtung, Abbild von etwas und gleichsam ein „geöffnetes Fenster in der Wand“ zu sein, wie Leon Battista Alberti 1435 den neuen empirischen Anspruch der Frührenaissance an das Bild formulierte[1], und konstituiert es als Erfahrungsbereich eigener Wirklichkeit. Die vielleicht erstaunlichste und entschlossenste Verwirklichung dieses Emanzipationsprozesses erfährt das Bild mit der Erfindung der so genannten ungegenständlichen Malerei seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts. „Geistige“, „innere“ oder „höhere“ Wirklichkeit werden so im künstlerischen Bild der Moderne durch nicht-vergleichbare, nicht-wiedererkennbare, nicht-ähnliche Formen des Ausdrucks darstellbar. Auch in der Malerei hat es seitdem immer wieder Strömungen gegeben, die Wirklichkeit des Sichtbaren wieder ins Bild zurückzuholen: Neue Sachlichkeit oder der Fotorealismus sind hier zu nennen. Doch seit der Erfahrung der modernen Malerei mit ihrer Möglichkeit, völlig andere Realitäten – Innenwelten, Symbolwelten, Bildwelten - sichtbar zu machen, die nach eigenen Gesetzen verfasst sind und die es zu entdecken gibt, ist von einer Malerei die authentische Wiedergabe der empirischen Welt schon von vorneherein viel weniger zu erwarten. Vielmehr wird dieser Anspruch an Bilder im „naturwissenschaftlichen Zeitalter“ an die Fotografie mit ihrem halbautomatischen Aufzeichnungsverfahren übertragen, so sehr auch die Möglichkeiten schon analoger nachträglicher Veränderungen, wie Retusche, Montage, Solarisation u.ä., und alle Register der Inszenierung bekannt sein mögen. Wohl wegen ihrer theoretisch hohen „Welthaltigkeit“ avanciert die Fotografie im letzten Viertel des 20. Jahrhundert zu einer gleichberechtigten, teilweise sogar führenden Kunstgattung.[2] Ihre scheinbar höhere Faktizität hat allerdings auch lange Zeit behindert, dass sie überhaupt mit dem Blick der Kunst wahrgenommen worden ist.[3] Denn schon immer wurde argumentiert, dass das Kunstwerk eben nicht nur die bloße Wiedergabe von Fakten sein dürfe. Mit dieser Begründung wurden etwa spätestens seit dem 16. Jahrhundert sogar große kunsttheoretische Vorbehalte gegen die gesamte Gattung des gemalten Porträts angemeldet. Vielmehr müsse das Kunstwerk darüber hinausführende, geistige Qualitäten aufweisen, die von Epoche zu Epoche anders bestimmt werden.[4]

 

Als Fotografien sind die Werke von Ralf Peters in diesen Verständnisrahmen hineingestellt, der einerseits durch den quasi naturwissenschaftlichen Anspruch der Dokumentation von Fakten, andererseits von den Ansprüchen an Kunstwerken, mehr als nur bloße Fakten zu verdoppeln, eröffnet wird. Und in der Tat konnten wir schon ganz zu Beginn bemerken, dass Ralf Peters seine Fotografien genau diesen Zwiespalt produzieren lässt. Die Formulierung „Etwas stimmt nicht...“ bezieht sich auf den Bruch mit der Erwartung, Fotografie sei berechtigter- und vielleicht sogar notwendigerweise dokumentarisch, die Kritik solchen Sprechens auf die Erfahrungen mit Kunstwerken, niemals nur Verdoppelungen von Kennbarem zu sein.

 

In der Serie Open Studies etwa (S. # - ##) sammelt Peters Bilder von Tankstellen, wie um eine Typologie der Baugattung „Tankstelle“ zu erstellen. In der Kunstgeschichte, als jener Disziplin die die einzelnen Werke von Künstlern in die Erzählung von der Kunst als Ganzem einbindet, ist schnell das Vorbild der Typologien von Industriebauten Bernd und Hilla Bechers aufgerufen, welche als die vielleicht einflussreichsten und wichtigsten Künstler für das Medium Fotografie am Ende des 20. Jahrhunderts gelten können. Ihre Reihen gleichartiger und deshalb vergleichbarer, monoider Aufnahmen von Kühltürmen (Abb. 1), Wassertürmen oder Fachwerkhäusern haben in der Kunstwelt schon früh als gleichsam fotografischer Ableger der minimal oder concept art Aufmerksamkeit erregt.[5] Zum Teil beruhte die damit verbundene Anerkennung etwa durch den minimalistischen Künstler Carl Andre, der die Bechers in den Vereinigten Staaten propagierte, jedoch auf einer Fehleinschätzung. Es geht dem Künstlerpaar eben nicht nur um die reine konkrete Form, sondern neben dem Herausarbeiten von ästhetischen Qualitäten der Wirklichkeit tatsächlich sehr wohl auch um eine Dokumentation von typischen Bauten ihrer Zeit, vor allem solchen, kaum geschätzten der Industrie. Ihr Projekt kann gleichsam als eine Architektur-Archäologie der Gegenwart für die Zukunft beschrieben werden. Obwohl Ralf Peters nicht zur so genannten Becher-Schule der Düsseldorfer Fotografie gehört, knüpft seine offene Studien-Sammlung (Open Studies) hier deutlich an. Nicht nur, dass er seriell arbeitet, sondern auch er stellt die Vergleichbarkeit der Objekte im Bild her, indem er immer wieder den gleichen Blick inszeniert: nämlich schräg über die Ecke des Daches durch die Tiefe des bebauten Areals, so dass der Verkaufspavillon sich links hinten befindet und sichtbar wird, wie die frei auf schlanken Stützen lagernde Überdachungsscheibe den Raum vor dem Pavillonblock eigentlich erst hervorbringt. Ähnlich einem publizierenden Insektenforscher, weist er auf diese Weise einen konstanten Typus aus, die Species „Selbstbedienungstankstelle“, deren sehr häufiges Vorkommen in keinem Verhältnis zu der sehr geringen Aufmerksam steht, die ihr allgemein geschenkt wird. Hat indes schon die Naturwissenschaft eine zweifellos auch wechselnden Moden angepasste Ästhetik, der die Bilder zur Steigerung ihrer Schlagkräftigkeit angepasst werden,[6] so gilt dies für Bilder in Kunst- oder Architekturzusammenhängen erst recht. Für ein dokumentarisches Bild „unzulässig“ entfernt Ralf Peters im Bild alle Zeichen, Logos, Zahlen und schriftliche Informationen, von denen wir genau wissen, dass Tankstellen sie haben müssen, um ihrer Funktion als drive-in-Handelsstellen für Treibstoffe des rollenden Verkehrs gerecht zu werden. Selbst Autokennzeichen sind in den Open Studies gelöscht. Um die fast bauhäuslerische Strenge dieser Architekturwelt als das an ihr Schätzenswerte herauszuarbeiten, muss sie anscheinend gereinigt werden. Es geht in Ralf Peters’ Open Studies also gar nicht mehr nur um eine scheinbar neutrale und objektive Sammlung von Individuen einer Species. Vielmehr wird vom Künstler die Sammlungsmethode betont, nämlich das Transformieren von Wirklichkeit in ein Bild mit seinen ganz spezifischen Wahrnehmungsbedingungen und ästhetischen Eigenarten. Dazu lässt er die ästhetischen Qualitäten „seines Bautypus“ mit dramatischem Effekt hervortreten, indem er ihn bei Nacht und mit der entsprechenden Nachtbeleuchtung aufnimmt. Er streicht zudem den seriellen Charakter der Open Studies besonders heraus, indem er die Tankstellen eben nicht, wie die Bechers, monoid und vom Bildrand unüberschnitten darstellt, sondern sie in einer horizontalen Mittelzone anordnet, die rechts und links an ein potentielles Bild anschließen kann und sich in enger Hängung zu einem abstrakten bunten Band zusammenschließen, das äußerst bildwirksam, oben und unten schwarz gerändert wird. Peters schafft seine Serie ganz offensichtlich in erster Linie um des ästhetischen Prinzips willen und weniger um tatsächlich eine Studiensammlung anzulegen. Er ironisiert damit die Bechersche Methode des Sammelns mit der Kamera und ihre Ästhetik der wissenschaftlichen Strenge, Objektivität und Neutralität, indem er sie zu einer Art Stil gerinnen lässt, der von der Wirklichkeit eben bestimmte Opfer fordert, damit sie darin eingepasst werden kann. Bilder sind unter keinen Umständen, selbst in wissenschaftlichen Zusammenhängen nicht, neutrale Aufzeichnungsmedien.

 

[1] Leon Battista Alberti: De pictura [...] libri tres, 1435.

[2] So wird die Fotografie-Klasse von Bernd und Hilla Becher an der Düsseldorfer Akademie in den 90er Jahren zum hot spot der deutschen und auch internationalen Kunstgeschichte.

[3] S. dazu v. Verfasser: Das Museum der Wirklichkeit. Eine Typologie kompositorischer Bildstrukturen der Werke von Bernd und Hilla Becher und der Düsseldorfer Fotografie. In: Kat. Zwischen Schönheit und Sachlichkeit. Boris Becker + Andreas Gursky + Candida Höfer + Axel Hütte + Thomas Ruff + Thomas Struth. Kunsthalle in Emden 2002, S. 18-31.

[4] S. dazu mit Kapiteln auch zur Fotografie v. Verfasser: Porträt – Ikone – Kunst. Methodologische Studien zur Geschichte des Porträts in der Kunstliteratur. Zu einer Bildtheorie der Kunst. München / Paderborn 2004.

[5] S. dazu und zum Begriff „monoid“ v. Verfasser: Das Museum der Wirklichkeit (wie Anm. #).

[6] Der Physiker Steven Weinberg sprach in diesem Zusammenhang in einem Interview mit dem SPIEGEL (30, 26.7.1999) einmal davon, dass das Wahre auch immer schön und daran zu erkennen sei.

 

 

Justin Hoffmann „Lichtbilder der Ökonomie“ Katalog "OPEN STUDIES" Galerie Mosel und Tschechow, München

Es ist Nacht. Es ist still. Menschen sitzen in ihren Wohnungen vor dem Computer. Die farbigen Lichter der Tankstellen und Supermärkte breiten sich selbstsicher in ser Dunkelheit aus. Mit Aufnahmen dieser Art führt uns Peters in einem Film Noir der 90er Jahre, in die düstere Phase des Postfordismus, einer Epoche, einer Epoche, die von „leuchtenden Kästen“ geprägt zu sein schein. Denn sind es nicht die Monitore, Lichtleisten, leuchtenden Logos und vollständig illuminierte, architektonische Elemente, die für viele Menschen so anziehend wirken und gegenwärtige Machtstrukturen verdeutlichen? Dieses Blendwerk der Wirtschaft ist in alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens eingedrungen , in urbane, öffentliche Zonen genauso wie in Häuser und Privatwohnungen.

Haben Computer eine Aura? Ist das der Grund ihres Erfolges: ihr Schein des Übermenschlichen oder besser Posthumanen? Die neuen Kommunikationsmittel _ Computer und Internet – trugen wesentlich zur aktuellen Entwicklung der Ökonomie bei. Auf ungeahnte Weise erweiterten sie die Möglichkeit der Informationsübertragung und Geldspekulation. Gleichzeitig führten sie zu einer Veränderung der Arbeitsbedingungen. So benötigt der Dienstleistungssektor feste Architekturen immer weniger. Als neue Losungen werden das Home Office und der möglichst flexible und mobile Arbeitnehmer ausgegeben, wohl wissend, dass die Arbeit zuhause oder unterwegs vielfach zur Auflösung von Arbeitsgemeinschaften, zur Isolation des Individuums führen kann. Der neue Partner der Werktätigen heißt PC, eine Maschine, die nicht nur gründlich und universell funktioniert, sondern auch in einem Dialog mit ihren Bedienern treten kann. „Der Computer als Partner ist das Mittel, die Unmöglichkeit der Beziehung zu umgehen: eine Beziehung mit dem Computer ist möglich. Das Unheimliche besteht genau darin, dass er eine maschine ist, ein konsistentes Anderes, das an die Strukturelle Stelle des intersubjektiven Partners tritt – der Computer ist ein „unmenschlicher Partner“ (wie Lacan über die Dame in der höfischen Liebe sagt).“ (Slavoj Zizek, Von der virtuellen Realität, in: Peter Weibel, Zur Rechtfertigung der hypothetischen Natur der Kunst und der Nicht-Identität in der Ojektwelt, Köln 1992, S. 143f) Auf Ralf Peters` Abbildungen von Menschen sind die einzigen Lichtquellen die Monitore. Es ist jenes Licht, das eine direkte Beziehung mit den Menschen herstellt und die Identität der Personen erst sichtbar macht. Ohne diese kühle Beleuchtung scheinen sie nicht existieren zu können. Und obwohl sich die Menschen in ganz unterschiedlichen Räumen aufhalten, die digitale Informationsübertragung ist raumunabhängig.

Entsprechend den Tankstellen, für die in Form und Funktion die Geographie keine Rolle mehr spielt, sind der Computer und seine Netze universell. Sie können den ganzen Planeten umspannen. Nichts wird sie aufhalten.

Trotz aller Kritik am gegenwärtigen Gebrauch der Computer, ist es unsinnig, Technologie per se zu verurteilen. Apokalyptisches Denken ist genauso wenig angebracht wie naive Euphorie. Weder das Ende der Jugend wird durch Computerspiele eingeläutet, noch eine neue Qualität städtischen Zusammenlebens allein mittels „intelligenter Ambientes“ erreicht. Die Bedeutung des Computers hängt von seiner jeweiligen Verwendung und den damit verbundenen Interessen ab. Auch Ralf Peters arbeitet mit dem Computer und benutzt ihn für die Herstellung seiner Werke. Softwareprogramme ermöglichen ihm, Tankstellen und Supermärkte so darzustellen, wie er es für seine Intentionen benötigt. Mit ihrer Hilfe kann er die architektonische Gestalt auf das Wesentliche reduzieren. Seine Abstraktionen –er ließ Firmenlogos, Schriften und Nummern verschwinden – dienen zur Idealisierung und Überspitzung der Gestalt. Die abstrahierten Architekturen werden dabei zu Zeichen für den transnationalen Expansionsprozess, der unter dem Begriff „Globalisierung“ bekannt wurde. Die Differenzen verschwinden hinter einem einheitlichen Schema. So sind Peters` Computermanipulationen als Reaktion auf die Fusionierung in unübersichtliche Machtkonglomerate zu verstehen, in denen die Besitzverhältnisse von und zwischen Tankstellen und Supermärkten zunehmend unklar geworden sind. Die Firmenidentitäten lösen sich weitgehend auf, die verschiedenen Unternehmen verschmelzen zu weltweiten Superkonzernen. Im Zeitalter des aggressiven Kapitalismus scheint des Konzept der Coperate Identity an Bedeutung zu verlieren. Ein Unternehmen besitzt meist mehrere Tochterfirmen, die unterschiedliche Marktbedürfnisse erfüllen. Diese Diversität führt zur Auflösung eines einheitlichen Erscheinungsbildes einer Firma. Reziprok dazu gleichen sich sowohl das Äußere der funktionalen Gebäude auch das Warenangebot immer mehr an. In allen Tankstellen, die sich zunehmend in Supermärkte verwandeln, findet der Käufer neben Treibstoff jede Menge anderer Güter vor. Das Sortiment reicht vom frischen Croissant bis zur aktuellen Hit-CD. Die einzelnen Ladenketten und Benzinmarken sind heute vor allem durch die verschiedenen Farben zu unterscheiden. Diese haben Signalwirkung. Sie sind knallig und attraktiv. Die farbigen Lichter schaffen, wie Ralf Peters Fotografien belegen, zudem Differenz. Sie erzeugen eine erstaunliche Distanz zwischen den Stätten des Konsums und ihrer Umgebung.

Tankstellen und Supermärkte gelten als Symbole für den schnellen Austausch von Waren Geld und Energie. In den Zeiten der Deregulierung sind diese auch abends geöffnet, Tankstellen häufig 24 Stunden. Durch die ausgefeilte Lichtregie erhalten sie gerade in den nächtlichen Stunden einen beinahe sakralen Charakter – ein Aspekt, der schon Ed Rusha zu seinen berühmten Gemälden von amerikanischen Tankstellen inspirierte. Sie werden zu Repräsentationen des allerorts herrschenden Warenfetischismus. Ralf Peters` Fotoreihe erscheint in diesem Zusammenhang als eine Metapher für die Auswirkungen der rasanten ökonomischen Entwicklung in unserer Gesellschaft. Die Leuchtkraft und der Glanz dieser Fotografien korrespondieren mit dem verführerischen Schein der Warenwelt. Selbst die neuen Formen der Arbeit beruhen weitgehend auf Schein und Illusion. Denn die Attraktivität des Computers liegt vor allem in seinen Versprechen, in seiner fiktionalen kraft und den unendlichen Verwendungsmöglichkeiten, die er vorgibt zu besitzen und die in ihn hineinprojiziert werden. In diesen Zeiten darf das Licht niemals ausgehen.

Carsten Ahrens, „Viele, viele bunte Smarties oder Die Farben einer eindimensionalen Welt, Katalog: Nightscapes Fotografien der Nacht, Hatje Cants, ISBN 3-7757-1118-X

Ralf Peters hat in den vergangenen Jahren in immer neuen Ansätzen die Wahrnehmungskriterien unserer Zeit in seien künstlerischen Recherchen beleuchtet. Dabei hat er von Beginn an den Versuch unternommen, seine Arbeit von einem hohen Materialaufwand unabhängig zu machen. In der digitalen Bearbeitung vorgefundenen Bildmaterials, das ein dem Anschein nach getreues Abbild der Welt verspricht, sind so eine Vielzahl von Serien entstanden, in denen Peters Phänomene unserer Zeit neu belichtet. In einer dieser Serien traktiert der Künstler das Phänomen der Tankstelle. Die Einmaligkeit, die uns an den Verkaufsstellen der Global Players mit allerlei schmückendem Beiwerk vorgespielt wird, wird in einer Art ironischer Rigidität und Ernsthaftigkeit – am Computer in der reinen architektonischen Form gesucht. Deshalb säubert Peters die Tankstellen von Logos, Schriftzügen und Werbetafeln. Er gleicht diese Gebäude, deren vormaliger Variantenreichtum im Zuge einer sich stetig rationalisierenden globalen Vermarktung immer eindimensionaler geworden ist, einander an, und es bleiben wunderschön illuminierte Architekturen zurück, allein durch die Leuchtkraft ihrer Farben von scheinbar unverwechselbarer Identität.
Peters interessiert die banale Formelhaftigkeit zeitgenössischer Alltagsarchitektur. In ihrer Losgelöstheit vom städtischen Umraum erscheinen in seinen Bildern die zur Formel erstarrten Gebäude wie geheimnisvolle Zeichen einer rigiden Funktionalität, in denen sich die prägende Macht wirtschaftlicher Strukturen spiegeln. Der Schein der bunten hohlen Vielfalt, lenkt den Blick auf einen Prozess der ästhetischen Gleichschaltung, der uns beim Gang durch die Städte auf Schritt und Tritt begegnet. Geblendet von den leuchtenden Oberflächen dieser aus dem kommerziellen Kontext ästhetisch heraus gelösten architektonischen Replikate schärft sich die Wahrnehmung gleichsam zu einer fundierten Kritik unseres Begriffs von einer humanen Architektur.

Link: "Tankstellen", Ralf Peters; Galerie Bernhard Knaus / Frankfurt, D