100 Meisterwerke

Wenn ein Teddy ein Meisterwerk darstellt

Berliner Morgenpost 24.3.2013
24.03.13 KUNSTSACHE
Wenn ein Teddy ein Meisterwerk darstellt
Gabriela Waldes wöchentlicher Streifzug durch die Berliner Galerien

Emma, meine Freundin, hat ein Faible für die Teddy-Serie von Ralf Peters. Das klingt etwas niedlich, der Künstler mag das vielleicht nicht
gerne hören, man muss das also erklären. Die Teddys heißen eigentlich "100 Meisterwerke".
Der Mann muss irgendwo einen gut bestückten Stofftierladen aufgekauft haben, jedenfalls hat er mit den bunten Plüschteilen und anderem
Krusch die Kunstgeschichte clever nachgestellt: Spitzwegs "Armer Poet" ist ein müder Elefant, Vermeers "Mädchen mit dem Perlenohrring"
eine treuherzige Hundelady und Caspar David Friedrichs "Wanderer über dem Nebelmeer" kommt als winzige Maus daher.
Das gleicht einem Boykott der Kunstgeschichte: Diese "Ikonen" hat er fotografiert, dicke goldene Rahmen aufgezogen und sie kurzerhand
an die Wand gehängt. Diese Bilder sind nicht neu, gehören sicher nicht zu den Hauptwerken des wandelbaren Fotokünstlers, der bei
Hamburg lebt. Doch sie bringen Peters Arbeitsweise ganz gut auf den Punkt. Es ist seine spielerische wie kritische Herangehensweise,
wobei die Kunst herrlich respektlos aus den Angeln gehoben wird. Was ist eigentlich Malerei? Was kann sie? Und ja, welche Funktion hat
Fotografie heute? Peters fragt damit auch immer wieder nach der eigenen Position. Kein Wunder, der 52-Jährige kommt von der Malerei,
hat in München bei Jörg Immendorff studiert, wandte sich konzeptionellen Raummodellen zu, vom Dreidimensionalen kam er zur
Fotografie. Irgendwie folgerichtig, wenn es um Abbildungsverfahren geht. Und auch ihr traut Peters nicht in ihrem Wahrheitsgehalt.

 

 

Im Lächeln zum Erkenntnisgewinn, Heinz Kattner / Katalog UNTIL TODAY, ISBN:978-3-7757-2608-5

„100 Meisterwerke“ von Ralf Peters

Der erste Blick entscheidet, ob mich überhaupt Signale erreichen und mein Gehirn erregen. Beim zweiten geht es dann um Verknüpfungen und um Bedeutung. Sehe ich den „Wanderer über dem Nebelmeer“ und weiß, dass es sich um ein Werk von Caspar David Friedrich handelt, dann ist – vorausgesetzt, der erste Reiz ist stark genug und wird nicht von einem Bewertungsmuster abgewiesen – der zweite Schritt schon vorbereitet. Alles, was ich weiß, ist bereits eine Folie, auf der das jetzt genauer Geschaute in mir sein Bedeutungsfeld erweitern und mein Gefühl beim Betrachten verstärken kann. Die Wirkung von Kunst und Wissen.

Aber nun steht der „Wanderer“ als Stofftiermaus geschmackvoll gekleidet mit Stock auf dem Hügel und blickt in die Ferne! Gerahmt in Gold. Dieser parodistische Effekt wird nur auf den ersten Blick beim Schmunzeln bleiben. Die Parodie, also „das verstellt gesungene Lied“, ist eine unterschätzte Kunstform. Es ist ja das Komische, das uns oft die Tragik oder das Glück so unbegreiflich tief unter die Haut jagt. Wie stark ist das Hungergefühl durch das hochkultivierte Verspeisen einer Schuhsohle von Charles Chaplin dargestellt? Und erst mit Verzögerung bekommt unsere Ratio die Chance, zu bestätigen, was sich bereits weich in die Erkenntnisebene eingegraben hat.

Das leisten die „100 Meisterwerke“ hervorragend. Jean-August-Dominique Ingres „Die Badende von Valpincon“ ist bis in die Fußstellung hinein außerordentlich komisch. Fast möchte man losprusten vor Lachen. Aber dann sieh’ dir die Nähte am Teddykörper an. Könnten die leichten Tücher um Arm und Kopf nicht Wundverbände sein? Die leuchtende Schönheit in einem Blick vergänglich. Aber du mußt jetzt nicht bedeutungsschwer dein Leben ändern. Ins Kloster gehen oder gar den körperlichen Verfall von Minute zu Minute registrieren. Denn das Komische will hier die Tragik nicht absichtsvoll hervorrufen. Die ist ja in dir. Von Anfang an. Der nächste Blick ist wieder so anrührend komisch. Du lächelst und gehst zum nächsten goldenen Rahmen, um lächelnd die nächste Einsicht subkutan zu speichern. Diese parodistische Freude kann bleiben. Ein wohltuender Erkenntnisgewinn.

Über gerühmte Kunstwerke, Vitus H.Weh

Auch der neueste Star-Tek-Film steckt voll davon: Anleihen und Zitate. Besonders die so genannten Meilensteine des „Science-Fiction“ werden da hemmungslos ausgeschlachtet. Insofern hat auch sein Filmtitel: Treffen der Genrationen“ mehr als eine Bedeutung. Und welch Freude bereitet es, wenn sich wieder eine Szene als schöne Anspielung auf schon Dagewesenes enttarnt. Zugegeben, den echten Spaß haben nur Enterprise-Fans, Cineasten und die wahren Genre-Kenner – aber so wenig sind das gar nicht.

Es ist in der Tat ja so, dass sich gar nicht alles gleich gut zitieren lässt. Donald Duck zu zitieren, ist z.B. ganz unmöglich; nur Persiflagen sind da möglich. Selbst big hero John Wayne lässt sich nicht zitieren, höchstens der von ihm geprägte Western-Typus. So richtig gut funktioniert die Anspielung aber bei wichtigen Szenen oder ganzen Filmen. Gerade sogenannte Remakes ziehen einen Großteil ihres Charmes aus der Erinnerung an das Original, an die Geschichten, die damals erzählt wurden. Und zu diesem Geschichtenpool fügt das Zitat das seine hinzu.

Zitate in der jüngsten Kunstgeschichte haben mehr mit solch filmischen Vorgehen zu tun, als mit den traditionellen Bild-Hommagen. Während früher mit Leidenschaft Versatzstücke anderer Werke in die eigene Arbeit einkopiert wurden, sind formale Huldigungen und Fortschreibungen heute kaum noch zu finden. Nicht, dass es allgemein an Bewunderung mangeln würde – die privaten Museen in den Köpfen sind wohlgefüllt. Und für viele sind diese imaginären Sammlungen sogar sehr wichtig – wohlgemerkt aber nicht als formalistische, sondern ideengeschichtliche Orientierungshilfe.

Wenn sich auch die Besuchermassen schieben und drängen und noch so lange z.B. auf das Bildnis der Mona Lisa starren, einen plausiblen Grund dafür gibt es auf der Bildfläche nicht. Das Interessante wird sich wohl eher „drumherum“ befinden: im abenteuerlichen Halbwissen über Deutungen, Biographien und Verbrechen. Neben solchen Vincent-Popbildern gibt es noch die Ikonen des jeweils aktuellen Kunstdiskurses, die Standartbeispiele der heutigen Wissenschaft. Dieses Repertoire prägt sich zwar nicht durch Postkarten, wohl aber durch die ständige Wiederholung in Vorträgen und Katalogvorworten ein: Welches Reden über politische Ikonographie möchte schon Z.B. auf Daumiers Bild „Die Republik“ verzichten – wo sich doch so treffend mit seiner späteren „Medea“ fortfahren lässt, oder eben mit Gericaults „Floß der Medusa“? Oder wer könnte auf Rodins „Bürger von Calais“ als beleg verzichten, oder auf Casper David Friedrichs „Der Wanderer über dem Nebelmeer“? IN solchen Bildern hat sich durch das Geschichtenerzählen Zeitgeschehen kristallisiert. Ihr großer Vorteil ist, dass sie nicht nur mit Fakten und Deutungen zu einer Zeit, sonder als Images auch sofort evozierbar sind.

Ausstellung Galerie Diana Lowenstein, Miami, USA